Trendprofil Energie
Die Energiewende ist ein zentrales Handlungsfeld für Baden-Württemberg, um Klimaneutralität zu erreichen und die Versorgung zu sichern. Das Land setzt auf Dekarbonisierung durch den Ausbau erneuerbarer Energien und Effizienz, erprobt Technologien zur CO₂-Rückgewinnung und -Nutzung und fördert die Sektorkopplung – also die intelligente Verbindung von Strom, Wärme und Mobilität.
Stand: 03/25
Zahlreiche Pilotprojekte – von industrieller Abwärmenutzung bis Power-to-X – zeigen Wege auf, Emissionen zu senken. Forschungsinstitute wie das Fraunhofer ISE in Freiburg oder das KIT in Karlsruhe entwickeln die technischen Lösungen, während Landesprogramme Kommunen und Unternehmen bei der Umsetzung unterstützen. Im Folgenden werden Maßnahmen zur Dekarbonisierung, Beispiele für CO₂-Abscheidung und Projekte zur Sektorkopplung/Wärmenetzen in Baden-Württemberg dargestellt.
Maßnahmen zur Dekarbonisierung (grüne Energie, Pilotprojekte)
Baden-Württemberg hat ambitionierte Klimaziele: Bis 2030 sollen die Treibhausgas-Emissionen um mindestens 55 % (ggü. 1990) sinken, bis 2040 will das Land klimaneutral sein. Um dies zu erreichen, wurde eine umfassende Klimaschutzstrategie BW beschlossen, die besonders in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr auf schnelle Dekarbonisierung abzielt.
Ein Schwerpunkt ist der Ausbau erneuerbarer Energien. Zwar war BW historisch beim Ökostrom-Ausbau hinter den Nordländern – etwa bei Wind – doch zuletzt wurden die Anstrengungen erhöht. 2022 gingen 100 neue Windräder ans Netz (Leistung ~400 MW), was den Bestand auf über 800 Anlagen brachte. Die installierte Photovoltaik-Leistung liegt bei über 6 GW (2021) und soll durch gesetzliche PV-Pflichten deutlich steigen. Tatsächlich hat BW als erstes Bundesland eine Photovoltaik-Pflicht eingeführt: Seit 2022 müssen alle neuen Nichtwohngebäude und großen Parkplätze PV-Anlagen installieren, seit 2023 auch neue Wohngebäude. Dies soll jährlich mehrere hundert MW an neuer Solarleistung bringen. Zudem fördert das Land PV-Speicher-Kombinationen (Programm “Netzdienliche Speicher”) und Agri-Photovoltaik (Pilotanlagen in Rheinstetten und Heuchlingen, gefördert durch EU und Land).
Im Strommix BW lag der Anteil erneuerbarer Energien 2022 bei rund 33 % (hauptsächlich Solar, Bioenergie, Wasserkraft) – hier gibt es also noch erhebliches Steigerungspotential. Die BW-Stromstudie 2024 vom Fraunhofer ISE warnt, dass ohne zusätzliche Maßnahmen ein Strom-Importbedarf bleibt. Daher investiert das Land in “Erneuerbare-Communities”: Etwa werden Bürgerenergiegenossenschaften über Bürgschaftsprogramme gestärkt, und es gab Sonderausschreibungen für Wind in Staatswäldern. Ebenso hat EnBW 2023 begonnen, ehemalige Kiesgruben mit Floating PV auszustatten – eine ISE-Studie identifizierte im Oberrhein große Potenziale für schwimmende PV auf Baggerseen.
Neben dem Ausbau der Erneuerbaren setzt BW auf Dekarbonisierung in der Industrie. Das Land hat 2022 eine Technologieatlas - Passende Lösungen für Ihren Weg Richtung Klimaneutralität veröffentlicht und Fördertöpfe wie “Unternehmen machen Klimaschutz” geschaffen. Am Standort Mannheim wird im Projekt “Catch4Climate” Oxyfuel-Technologie getestet, um CO₂ aus Zementabgas hochkonzentriert abzuscheiden (Konsortium mit Schwenk, Buzzi, Vicat). Die MiRO-Raffinerie in Karlsruhe testet den Einsatz von grünem Wasserstoff in ihren Steam-Reformern, um beim Kraftstofferzeugen CO₂ einzusparen. Solche Projekte befinden sich in enger Begleitung der Wissenschaft (z. B. KIT, ZSW) und werden durch Förderprogramme (Bund und Land) unterstützt. Sie dienen als Best Practices für den Transfer innovativer Low-Carbon-Technologien in bestehende Industriebetriebe – ein wichtiger Schritt, damit BW seine Klimaschutzziele erreicht und zugleich industrielle Wertschöpfung zukunftsfähig macht.
Ein weiterer wichtiger Sektor ist die Energiewirtschaft selbst: BW hat das letzte große Kohlekraftwerk (Rheinhafen Karlsruhe) im Plan, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Die gasbasierten Kraftwerke (wie EnBW Heilbronn) sollen langfristig auf grünen Wasserstoff oder synthetisches Methan umgestellt werden.
Zahlen & Fakten: Das Land stellt bis 2026 rund 700 Mio. € für den Klimaschutz bereit (Landeshaushalt, inkl. Bundes- und EU-Mittel). Darin enthalten sind ~100 Mio. für industrielle Dekarbonisierung, 50 Mio. für kommunale Wärmeplanung, 50 Mio. für die Ladeinfrastruktur etc. BW hat 2021 ein Klimaschutzgesetz novelliert, das verbindliche CO₂-Budgets für Sektoren vorsieht und jährlich vom Klimasachverständigenrat BW überprüft wird. Im Bundesländer-Vergleich belegt BW beim Klimaschutz-Index einen vorderen Platz (hinter den Stadtstaaten), insbesondere wegen der guten Programme im Verkehrs- und Gebäudebereich, so eine Auswertung von Germanwatch 2022.
Zusammenfassend lässt sich sagen, Baden-Württemberg verfolgt ein ganzheitliches Dekarbonisierungskonzept: Grüne Energie ausbauen, Energieeffizienz steigern und Innovationen fördern. Die Vielzahl an Pilotprojekten – ob H₂-Elektrolyse in Wyhlen, Abwärmenutzung in Karlsruhe oder klimaneutrale Quartiere – dienen als Lernorte, deren Erfahrungen dann breit ausgerollt werden sollen. Für Unternehmen bedeutet dies Unterstützung beim Umstieg auf klimafreundliche Prozesse (z.B. Förderprogramme für energieeffiziente Anlagen), für Kommunen Planungsinstrumente (etwa Pflicht zur kommunalen Wärmeplanung bis 2024 für alle größeren Städte). Politisch ist Dekarbonisierung in BW sowohl ökologische Notwendigkeit als auch Standortpolitik, um im zukünftig CO₂-bepreisten Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben.
Quellen: BW-Stromstudie: Bedarf an Erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg steigt
Quellen: BW-Stromstudie: Bedarf an Erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg steigt
CO₂-Rückgewinnung – Technologien und Projekte in BW
Trotz aller Vermeidung wird es Restemissionen geben – hier setzen CO₂-Rückgewinnung und -Nutzung (Carbon Capture Utilization/Storage, CCU/CCS) an. Baden-Württemberg erkundet im Rahmen von Forschungsprojekten neuartige Methoden, um CO₂ entweder zu speichern oder als Rohstoff zu verwerten.
Eine weltweit beachtete Initiative ist das Projekt NECOC am Karlsruhe Institute of Technology (KIT). NECOC steht für Negative Emission CO₂ to Carbon. Hier wurde 2022 die erste containerbasierte Pilotanlage in Betrieb genommen, die CO₂ direkt aus der Luft filtert und in festen Kohlenstoff (Carbon Black) umwandelt. Das Verfahren kombiniert mehrere Prozessschritte: Zunächst wird mit einem Direct Air Capture (DAC)-Modul CO₂ aus der Umgebungsluft adsorbiert . Dann reagiert dieses CO₂ mit erneuerbarem Wasserstoff zu Methan (Methanisierung) . In einem nachgeschalteten Pyrolysereaktor (mit flüssigem Zinn als Medium) wird das Methan in festen Kohlenstoff und Wasserstoff zerlegt . Der gewonnene Wasserstoff geht zurück in den Kreislauf, während der hochreine Kohlenstoffpulver abgeschieden wird . Dieses Carbon Black ist ein wertvoller Rohstoff, der z.B. in der Reifen- und Kunststoffindustrie, Elektronik oder im Bau verwendet werden kann. Somit wird aus dem Treibhausgas CO₂ ein nützliches Produkt – “ein gefährliches Gas wird zum Rohstoff”, so KIT-Professor Wetzel . Das NECOC-Projekt (gefördert vom BMWi mit 1,5 Mio. €) ist weltweit der erste integrative Test dieser Prozesskette und ein Beispiel für negative Emissionstechnologien, die CO₂ der Atmosphäre entziehen sollen.
Auch die Industrie forscht an Carbon Capture. Heidelberg Materials testet am Werk Kirchheim unter Teck eine CO₂-Abscheidung aus Zementabgas mittels Aminwäsche im Pilotmaßstab. Das abgeschiedene CO₂ (rund 1 Tonne/Stunde) wird dort momentan zwar noch nicht weiterverwendet, aber das nächste Ziel ist die Nutzung im Power-to-X-Verfahren: In Zusammenarbeit mit Ineratec (ein Spin-off aus Karlsruhe) könnte aus CO₂ und H₂ synthetischer Kraftstoff produziert werden. Ineratec selbst hat in Karlsruhe bereits eine PtL-Anlage in Betrieb (für synthetisches Kerosin), allerdings mit CO₂ aus Biomasse. Die Verknüpfung mit industriellem CO₂ wäre ein nächster Schritt.
Neben NECOC treiben auch Unternehmen in BW die CO₂-Nutzung voran: BASF etwa testet Verfahren, um Abgas-CO₂ stofflich zu verwerten (Power-to-X). Ebenfalls relevant: Climeworks, ein Schweizer DAC-Unternehmen, kooperiert mit der Universität Stuttgart und dem im Projekt “Atmospheric Carbon Capture”, um die Effizienz der Direktabscheidung zu erhöhen. Für die Speicherung (CCS) hingegen fehlt in BW die Geologie (keine geeigneten Lagerstätten, und die gesellschaftliche Akzeptanz ist niedrig). Deshalb fokussiert man eher auf CCU – also Nutzung.
Zahlen/Status: Aktuell (Stand 2024) gibt es in BW keine großskalige CO₂-Abscheidungsanlage in Dauerbetrieb – die meisten sind Pilotvorhaben <10 kt CO₂/Jahr. Dennoch ist BW in der Forschung vorne mit dabei. NECOC etwa strebt in Folgeprojekten eine Skalierung des Verfahrens an, um mittelfristig pro Anlage einige hundert Tonnen CO₂ pro Jahr in Carbon Black umzuwandeln. Das Land hat CCU/CCS in seiner Klimastrategie als Option aufgenommen für die “unvermeidbaren Restemissionen” (z.B. aus Zementproduktion). Gerade im Bereich Biomasse-Kraftwerke könnte Bioenergy with Carbon Capture (BECCS) interessant sein – hierzu laufen Gespräche mit Betreibern von Holzheizwerken in BW, um ab 2030 evtl. Pilot-CCS zu integrieren.
In Summe unternimmt Baden-Württemberg wichtige erste Schritte, um CO₂-Kreisläufe zu schließen. Die Kombination aus Ingenieurskunst (KIT-Projekte) und industrieller Praxis (HeidelbergCement, Ineratec) kann dazu führen, dass klimaschädliches CO₂ künftig als Rohstoff in Materialien oder Kraftstoffe eingeht. Neben dem Klimanutzen könnten so auch neue Geschäftsmodelle entstehen – BW-Unternehmen könnten z.B. vom wachsenden Markt für CO₂-basierte Produkte profitieren. Noch stehen diese Technologien am Anfang (wirtschaftlich teuer, energetisch aufwändig), doch BW trägt dazu bei, sie Richtung Marktreife zu entwickeln.
Sektorkopplung und Wärmenetze (Integration Strom-Wärme, Industrieanwendungen)
Eine effiziente und klimafreundliche Energieversorgung erfordert die Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. Baden-Württemberg fördert daher Projekte der Sektorkopplung, bei denen z.B. Abwärme aus Industrie für Fernwärme genutzt oder Überschuss-Strom in Wärme (Power-to-Heat) umgewandelt wird. Gerade im industriereichen BW mit vielen Ballungszentren bieten sich hier Chancen zur CO₂-Reduktion.
Allein in BW liege das theoretische Potenzial bei bis zu 9,3 Mrd. kWh/Jahr (Studie KEA-BW). Deshalb hat das Umweltministerium das Kompetenzzentrum Abwärme eingerichtet. Insbesondere im Wärmebereich werden in BW sektorübergreifende Modellprojekte umgesetzt. So wird das Dorf Breitenholz (bei Ammerbuch) zum Bioenergiedorf: Eine Genossenschaft baut dort seit 2022 ein Nahwärmenetz, das zu ~65 % von einem Holzhackschnitzel-Heizkessel und zu ~35 % von einem 2.000 m²-Solarkollektorfeld gespeist wird.
Auch Rechenzentren und Kläranlagen liefern nutzbare Wärme. In Stuttgart ist geplant, Abwärme eines großen Rechenzentrums ins neue Rosenstein-Viertel zu führen. In Heidelberg nutzt man Wärme aus dem Großklärwerk für ein Nahwärmenetz. Solche Projekte werden vom Land über das Programm “Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW)” (Bund+Land) gefördert.
Fraunhofer ISE in Freiburg spielt bei diesen Themen wissenschaftlich eine wichtige Rolle. In Projekten wie WOpS (Wärmefluss-Optimierung zur Sektorenkopplung) entwickelt das ISE modulare Regelungen, um Wärmenetze smarter zu machen. Dabei wird eine modellprädiktive Steuerung erprobt, die z.B. Wetter- und Strompreisdaten einbezieht, um den Wärmeeinsatz optimal zu planen. So kann eine Vernetzung von Strom- und Wärmesystem gelingen – etwa dann elektrische Boiler einsetzen, wenn gerade viel Solarstrom da ist, und umgekehrt bei knappen Strom auf konventionelle Kessel umschalten. Solche intelligenten Systeme werden in bestehenden Netzen in BW getestet (Demo in Ludwigsburg geplant). Auch die Sektorenkopplung mit Mobilität wird einbezogen: Ein Projekt verbindet E-Ladesäulen mit dem Fernwärmenetz der Uni Stuttgart, um bei Lastspitzen im Stromnetz per Wärmespeicher Puffern zu können.
Ein visionäres Konzept ist die “Energiesymbiose” im Chemiepark BASF Schwarzheide (Zwar BB, aber als Vorbild): Dort sollen Betriebe unterschiedlichster Branchen durch Wärme- und Stoffaustausch ihre Effizienz steigern.
Wärmenetze selbst werden ausgebaut: BW hat 2021 das Landes-Wärmenetzprogramm gestartet, um Kommunen beim Aufbau moderner Nahwärmenetze zu fördern – insbesondere mit erneuerbaren Quellen (Biomasse, Solarthermie, Geothermie). Projekte wie Solarthermie-Wärmeverbund Ludwigsburg (größter Solarthermiepark mit 1,5 ha Kollektoren) zeigen, dass Solarwärme auch im Südwesten funktioniert. Das Ziel ist, die Wärmenetze deutlich grüner zu machen und den Anteil klimaneutraler Fernwärme von ca. 15 % (2020) auf >50 % in 2030 zu steigern.
Zusammengefasst ist Baden-Württemberg im Bereich Sektorkopplung aktiv mit Praxisprojekten und Forschungsinitiativen. Die Verzahnung von Strom und Wärme gilt als entscheidend, um schwankende erneuerbare Energie effizient zu nutzen und fossile Brennstoffe im Wärmesektor zu ersetzen. Beispiele wie Karlsruhe (Industrieabwärme) zeigen, dass bereits heute enorme CO₂-Einsparungen möglich sind. Forschungsseitig sorgen Fraunhofer ISE und andere dafür, dass digitale Lösungen (Regelung, Simulation) diese Kopplung optimieren. Für Unternehmen bietet dies Chancen, z.B. bisher ungenutzte Abwärme zu verkaufen oder günstigen Überschussstrom in nutzbare Wärme umzuwandeln. Und Verbraucher profitieren von stabileren Preisen und versorgungssicherer Wärme, die weniger von fossilen Märkten abhängt. Baden-Württemberg stellt sich damit zukunftsorientiert auf, um ein integriertes Energiesystem zu schaffen – ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Relevante Anlaufstellen in BW:
- Fraunhofer ISE (Freiburg): Fraunhofer ISE – Energiewirtschaft und Sektorkopplung
- KEA-BW: Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg – Beratung für Kommunen und Unternehmen zu Abwärmenutzung, Wärmeplanung, Förderprogramme. Publikationen wie Abwärme-Leitfaden, Potenzialstudien (z.B. 9,3 Mrd. kWh Abwärme in BW)
- Umweltministerium BW – Energiewende: Energie & Klima – UM BW – Informationen zur Landesstrategie (Klimaschutzgesetz, Landesstrategie Ressourceneffizienz (Baden-Württemberg setzt in Ressourcenstrategie verstärkt auf ...)), Förderprogramme (Netze BW 4.0, Wärmenetzförderung) und Projekte (Modellvorhaben, Roadmaps).
- Netzwerk KLIMA & Unternehmen: Umwelttechnik BW – Kreislaufwirtschaft & Abwärme – Plattform zu nachhaltigen Technologien in BW, enthält u.a. Kompetenzzentrum Abwärme, Erfolgsgeschichten (Karlsruhe MiRO-Projekt), und Ansprechpartner für GreenTech-Lösungen in Energie und Recycling.
- Energy Lab 2.0 (KIT Karlsruhe): Energy Lab 2.0 – KIT – Reallabor auf dem KIT-Campus zur Sektorkopplung: verbindet Smart Grid, Wärmesystem und Speicher/PtX. Führt Versuche zur Netzstabilität, Power-to-X, bidirektionalem Laden u.a. durch. Ansprechpartner für F&E-Kooperationen im integrierten Energiesystem.