Trendprofil Neue Materialien
Innovative Materialtechnologien sind ein Schlüssel für nachhaltige Produkte und wettbewerbsfähige Industrie. Baden-Württemberg verfügt traditionell über Stärken in Chemie, Textil und Werkstofftechnik und entwickelt diese im Sinne der Nachhaltigkeit weiter. Aktuelle Trends fokussieren auf nachhaltige Textilien und Fasern, neuartige Oberflächenbeschichtungen mit funktionalen Eigenschaften sowie den Leichtbau als Querschnittstechnologie im Fahrzeug- und Maschinenbau.
Stand: 03/25
Forschungseinrichtungen wie die DITF Denkendorf oder Fraunhofer-Institute treiben diese Themen voran, während Start-ups und Cluster für den Technologietransfer sorgen. Im Folgenden werden Fortschritte bei nachhaltigen Textilfasern, smarten Oberflächen und Leichtbau-Lösungen in Baden-Württemberg beleuchtet – jeweils mit aktuellen Entwicklungen, Zahlen und relevanten Netzwerken.
Fortschritte in nachhaltigen Textilien und Fasern
Baden-Württemberg ist ein traditionelles Textilland und heute Vorreiter bei nachhaltigen Textilien. BW gehört zu den Top-3-Textilregionen in Deutschland. Gleichzeitig beherbergt das Land führende Forschungseinrichtungen: Die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF) in Denkendorf – das größte Textilforschungszentrum Europas – und die renommierten Hohenstein Institute in Bönnigheim . Vor diesem Hintergrund hat BW ideale Voraussetzungen, um nachhaltige Innovationen entlang der gesamten textilen Wertschöpfungskette zu entwickeln.
Ein zentraler Trend ist die Entwicklung nachhaltiger Fasermaterialien. An den DITF wurde Nachhaltigkeit als strategischer Schwerpunkt verankert, der alle Abteilungen durchdringt. Konkret bedeutet dies: Rohstoffe, Prozesse, Nutzung und Entsorgung von Textilien sollen umweltfreundlicher werden als je zuvor. Beispielsweise erforschen die DITF zellulosebasierte Fasern als Alternative zu Baumwolle oder synthetischen Fasern. Baumwolle deckt etwa 25 % der weltweiten Faserproduktion von ~100 Mio. Tonnen/Jahr ab, hat aber einen hohen Wasser- und Chemikalieneinsatz. Cellulosefasern aus Holz oder Lignin können hier Abhilfe schaffen: In Denkendorf ist die nachhaltige Herstellung von Carbonfasern aus Cellulose/Lignin ein zentrales Thema. Solche biobasierten Carbonfasern verbrauchen deutlich weniger Wasser als Baumwolle und ermöglichen einen ressourcenschonenderen Prozess. Erste Ergebnisse zeigen, dass leistungsfähige Kohlenstofffasern aus nachwachsenden Rohstoffen machbar sind – wichtig z.B. für Leichtbau-Komposite.
Das Technikum Laubholz in Göppingen hat eine innovative Textilfaser namens WDBSD TX® entwickelt, die aus regionalem Buchenzellstoff hergestellt wird. Diese Faser bietet eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Textilfasern und wurde auf der Berliner Fashion Week in einer kompletten Modekollektion präsentiert.
Neben Fasern steht auch die Textilveredelung im Fokus: Es wird intensiv daran gearbeitet, toxische Chemikalien (z.B. Fluorcarbone für Imprägnierung) zu ersetzen. Stattdessen kommen biologisch abbaubare Ausrüstungen oder physikalische Methoden (Plasmabehandlung, laserbasierte Verfahren) zum Einsatz. Ein Beispiel ist die Entwicklung textiler Filter und Kreislaufsysteme, um Abwässer in der Textilproduktion zu reinigen und wiederzuverwenden. Solche Innovationen senken nicht nur die Umweltbelastung, sondern oft auch Kosten – z.B. entfallen teure Entsorgungen giftiger Chemikalien. Dadurch gewinnt Nachhaltigkeit auch ökonomisch an Attraktivität.
Innovative Start-ups und Unternehmen in BW greifen diese Trends auf. Einige Beispiele: VAUDE (Tettnang) als Outdoor-Ausrüster setzt rigoros auf umweltfreundliche Materialien und Recycling in seinen Produkten. Auch technische Textilien werden grüner: etwa geotextile Materialien aus Naturfasern für den Landschaftsbau, ausgezeichnet im Ideenwettbewerb Bioökonomie 2024 . Die baden-württembergische Textilbranche erweist sich als anpassungsfähig – rund 70 % des Branchenumsatzes entfallen mittlerweile auf technische Textilien (Filter, Medizintextilien, Leichtbaumaterialien) . Hier ist BW europaweit führend. Durch die Kombination aus Hightech (Textilmaschinenbau, der in BW stark ist) und Bioökonomie-Strategie entstehen völlig neue Produkte: z.B. Fasern aus Pilzen, lederfreie Textilien auf Pflanzenbasis oder recycelte Garne aus Alttextilien.
Zusammenfassend treibt Baden-Württemberg die Transformation hin zu nachhaltigen Textilien voran. Unterstützt durch Landesstrategien (Bioökonomie, Circular Economy) arbeiten Forschung und Industrie Hand in Hand an geschlossenen Kreisläufen – von nachwachsenden Rohstoffen über energieeffiziente Produktion bis zum Recycling von Alttextilien. Die DITF als größte europäische Textilforschungseinrichtung stellen sicher, dass neuestes Wissen direkt in die Industrie gelangt. Die beschriebenen Entwicklungen sind nicht nur ökologisch geboten, sondern sichern auch die Zukunftsfähigkeit der heimischen Textilunternehmen im globalen Wettbewerb.
Neuste Informationen rund um die Entwicklung von Textilien finden Sie auf der Seite des Verbands der Südwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie
Die "Textil kann viel" Broschüre präsentiert konkrete Beispiele aus der textilen Praxis und unterstreicht die Innovationskraft des Landes.
Die "Textil kann viel" Broschüre präsentiert konkrete Beispiele aus der textilen Praxis und unterstreicht die Innovationskraft des Landes.
Neue Oberflächentechnologien (selbstreinigend, antibakteriell)
Funktionale Oberflächenbeschichtungen eröffnen völlig neue Einsatzmöglichkeiten – von hygienischen Wandfarben bis zu wartungsarmen Maschinen. In Baden-Württemberg wird intensiv an selbstreinigenden, antibakteriellen und anderen intelligenten Beschichtungen geforscht, oft mit Beteiligung von Fraunhofer-Instituten und Unternehmen der Region.
Ein herausragendes Beispiel sind photokatalytische Beschichtungen, die unter Lichteinfluss Bakterien und Viren abbauen. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart hat mit Industriepartnern eine antimikrobielle, selbstreinigende Wandfarbe entwickelt, deren Wirkung zeitlich unbegrenzt anhält. Anders als herkömmliche antibakterielle Anstriche verbraucht sich diese Beschichtung nicht und setzt keine toxischen Stoffe in die Umwelt frei. Die Oberfläche regeneriert ihre keimtötende Wirkung durch Licht immer wieder neu – eine “endlose chemische Reaktion”, wie das IPA es nennt. In Langzeittests (z.B. in einem Kindergarten in Döggingen) konnten an den beschichteten Wänden keine Keime nachgewiesen werden. Solche Technologien sind z.B. für Krankenhäuser oder öffentliche Gebäude wegweisend, um Infektionsrisiken zu senken, ohne Resistenzen zu fördern.
Auch selbstreinigende Fassaden und technische Oberflächen sind ein wichtiges Thema. Fraunhofer IPA und Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) an der Uni Stuttgart arbeiten an Beschichtungen, die sich durch UV-Licht aktiv reinigen (Schmutz zersetzt sich) oder wasserabweisende Nano-Strukturen besitzen wie der Lotus-Effekt. Damit könnten z.B. Solarmodule dauerhaft sauber bleiben oder Flugzeugtragflächen eisfrei. Die Einsatzmöglichkeiten solcher smarten Coatings sind vielfältig: von antifouling Schiffslacken, die ohne giftige Biozide auskommen, bis zu antifingerabdruck-Beschichtungen für Displays.
Baden-württembergische Firmen sind in diesem Feld aktiv. So bietet die Daimler AG für ihre Autos kratzfeste und schmutzabweisende Lacke an, die teils in Zusammenarbeit mit hiesigen Instituten entwickelt wurden. Bosch forscht an antibakteriellen Beschichtungen für Hausgeräte und Klimaanlagen. Ein Startup aus Mannheim entwickelt transparente Beschichtungen für öffentliche Touchscreens, die Viren deaktivieren – hochrelevant seit der Pandemie.
Die Landesregierung unterstützt solche Entwicklungen unter anderem durch den Umwelttechnikpreis BW.
In der Summe spielt Baden-Württemberg eine führende Rolle bei High-Tech-Oberflächen. Durch die enge Verzahnung von Materialwissenschaft (an KIT, Uni Stuttgart etc.) und Anwendungsindustrien (Maschinenbau, Fahrzeugbau, Medizintechnik) entstehen marktreife Lösungen. Diese neuen Materialien steigern nicht nur die Funktionalität und Langlebigkeit von Produkten, sondern leisten auch Beiträge zu Gesundheit und Umweltschutz (z.B. weniger Reinigungsmittelverbrauch dank selbstreinigender Flächen). Damit tragen sie dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie mit nachhaltigen Innovationen zu sichern.
Leichtbau in der Automobil- und Luftfahrtindustrie
Leichtbau ist eine Schlüsseltechnologie für viele Branchen – insbesondere Fahrzeug- und Luftfahrtindustrie – um Energie zu sparen und Emissionen zu reduzieren. Baden-Württemberg gilt als eine Wiege des modernen Leichtbaus, mit Unternehmen wie Daimler und Porsche sowie einem dichten Netzwerk an Zulieferern und Forschungszentren. Das Land fördert seit 2013 gezielt branchenübergreifende Leichtbau-Innovationen, u.a. durch die frühere Landesagentur Leichtbau BW. Diese Allianz vernetzt Wirtschaft und Wissenschaft, um neue Materialien (Metalle, Kunststoffe, Verbundwerkstoffe) und Konstruktionsprinzipien zu verbreiten. Ziel ist es, Gewichtseinsparungen in Produkten zu erzielen, ohne Funktion oder Sicherheit einzubüßen – vom Automobil bis zum Maschinenbau.
Ein Blick in die Industrie: In modernen Automobilen aus Baden-Württemberg stammen inzwischen viele Komponenten aus Faserverbundwerkstoffen oder Leichtmetallen. Beispielsweise nutzt der neue Mercedes EQS verschiedene Aluminium-Strukturteile und Carbonfaser-Elemente, um das Mehrgewicht der Batterie zu kompensieren. Porsche setzt beim 911 GT3 auf einen carbonfaserverstärkten Heckflügel und leichte Glasfasern in der Karosserie. Diese Materialien reduzieren das Fahrzeuggewicht erheblich, was Energie spart und Fahrleistungen verbessert. In der Luft- und Raumfahrt kooperieren BW-Firmen wie Airbus Helicopters (Donauwörth) und Liebherr Aerospace (Lindenberg) mit hiesigen Instituten an CFK-Strukturen für Flugzeuge und Satelliten.
Die Forschung in BW entwickelt die Leichtbau-Technologien stetig weiter. Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Pfinztal ist führend bei faserverstärkten Kunststoffen und ihren Fertigungsverfahren. Zusammen mit dem DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) betreibt Fraunhofer ICT in Augsburg eine gemeinsame Plattform, um automatisierte Fertigung von Carbonfaser-Bauteilen für die Großserie zu erforschen. Dort werden hochmoderne CFK-Webverfahren und Harzinjektionsprozesse erprobt, mit dem Ziel, Produktionszeiten und -kosten drastisch zu senken. Leichtbau gehört laut DLR/Fraunhofer zu den „wichtigsten Zukunftstechnologien in Flugzeug-, Fahrzeug- und Maschinenbau“. Entsprechend investiert auch das Land: 2023 wurde in Stuttgart der neue Forschungscampus ARENA2036 weiter ausgebaut, wo u.a. Leichtbauteile für Autos der Zukunft in einer Modellfabrik entwickelt werden.
Ein wichtiger Aspekt ist auch der Werkstoff-Mix: Baden-württembergische Projekte setzen auf Multimaterial-Leichtbau, d.h. die optimale Kombination von Metall, Kunststoff und Composite. Die Leichtbau-Allianz BW fördert bspw. Schulungen und Pilotprojekte, wie Stahl mit faserverstärktem Kunststoff hybriden zu verbinden (z.B. Stahlblech mit Carbon-Patch verstärken). So können vorhandene Fertigungslinien aufgerüstet werden, ohne komplett neue Materialien einzuführen.
Zahlenmäßig lässt sich der Erfolg ablesen: Fahrzeuge aus BW konnten in den letzten Jahrzehnten ihr Gewicht pro Generation oft senken oder trotz wachsender Größe konstant halten – etwa wog die aktuelle S-Klasse dank Leichtbau ähnlich viel wie das Vorgängermodell, trotz mehr Ausstattung. In der Luftfahrt erreichen neue BW-Komponenten eine Gewichtsreduktion von bis zu 20 % gegenüber klassischen Bauteilen. Solche Einsparungen sind entscheidend, um CO₂-Ziele zu erreichen (jedes kg weniger spart im Flugverkehr etwa das 15-fache an Treibstoff über die Lebensdauer).
Neben den Großunternehmen gibt es zahlreiche KMU und Start-ups im Land, die spezielle Leichtbaukompetenzen haben: z.B. Cikoni (Stuttgart), ein Start-up für KI-optimiertes Faserwickeln, oder Tenowo (Reichenbach), ein Hersteller technischer Vliesstoffe für Leichtbau-Composites. Weitere Leichtbauprojekte widmen sich z. B. neuen Verbunden für den Fahrzeugbau: So kombiniert das KIT im Projekt HEaK additive und subtraktive Verfahren, um einen E-Motor mit integriertem Leichtbau-Kühlsystem herzustellen
Insgesamt ist der Leichtbau ein Paradebeispiel für Baden-Württembergs Innovationskraft. Durch Netzwerke wie die Leichtbau-Allianz BW und erhebliche F&E-Investitionen (z.B. aus dem Strategiedialog Automobilwirtschaft BW) entsteht ein Ökosystem, das neue Materialien (wie Carbon, Hochleistungs-Aluminium, biobasierte Fasern) rasch in die Anwendung bringt. Dies verschafft der Automobil- und Luftfahrtindustrie im Land Wettbewerbsvorteile und leistet zugleich einen Beitrag zur Nachhaltigkeit (weniger Ressourcen- und Energieverbrauch).
Relevante Anlaufstellen in BW:
- DITF Denkendorf: Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung – Europas größtes Textilforschungszentrum, Schwerpunkt nachhaltige Fasern, Textilchemie und Recycling.
- Hohenstein Institute: Hohenstein Gruppe – Forschungs- und Prüfinstitute in Bönnigheim, u.a. für funktionale Textilien, Bekleidung und Hygienetextilien (Nachhaltigkeitsstandards, Öko-Tex).
- Fraunhofer IPA (Stuttgart): Fraunhofer IPA – Beschichtungstechnik – Informationen zu antimikrobiellen Beschichtungen, selbstreinigenden Oberflächen und Industrie 4.0-Lösungen in der Oberflächentechnik
- Leichtbau-Allianz Baden-Württemberg: leichtbau-bw.de – Plattform und Geschäftsstelle zur Förderung des Leichtbaus (branchenübergreifend). Bietet Kontakte zu Firmen, Forschungsprojekten und Fördermöglichkeiten im Leichtbau
- Technologiezentrum Leichtbau: Das TZL greift die Idee eines ganzheitlichen funktionsintegrierenden Leichtbaues auf und fokussiert daher in der Etablierungsphase zunächst auf den Formleichtbau mit der Topologieoptimierung als Umsetzungswerkzeug.
- Technikum Laubholz (Göppingen): technikumlaubholz.de – Neues Forschungszentrum für die Nutzung von Laubholz in High-Tech-Anwendungen. Pilotanlage für holzbasierte Carbonfasern (WDBSD CF®) 2024 in Betrieb