Leitfaden: Produkthaftung und Produzentenhaftung

Allgemeines

Wir haben hier verschiedene Grundlagen sowie Beispiele für Haftungsrisiken bei fehlerhaften Produkten für Sie zusammengestellt. Haftungsverpflichtungen entstehen neben dem Produkthaftungsgesetz insbesondere auch aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).
Hinweis: Produkt- und Produzentenhaftung sowie Gewährleistung und Vertragsrecht sind sehr komplexe Rechtsgebiete, die stets eine fundierte Betrachtung des Einzelfalls erfordern. Diese Übersicht dient lediglich einer ersten Orientierung und stellt die einzelnen Themen stark vereinfacht und nur auszugsweise dar. Für weitergehende Betrachtungen empfehlen wir die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts.
In der Praxis werden unter dem Begriff Produkthaftung häufig ganz verschiedene Rechtsbereiche und unternehmerische Risiken zusammengefasst. Stark vereinfacht formuliert handelt es sich dabei meist um Folgen aus dem Produkthaftungsgesetz, dem Produktsicherheitsgesetz, der sogenannten Produzentenhaftung nach § 823 BGB sowie der Gewährleistung (und eventuell auch Garantie) im weiteren Sinne.
Diese Bereiche decken nicht sämtliche erdenklichen Risiken im Zusammenhang mit fehlerhaften Produkten ab, umfassen jedoch einen großen Teil der für Hersteller, "Quasi-Hersteller" und Importeure praxisrelevanten Rechtsbereiche. Auch bieten diese Bereiche in unterschiedlichsten Quellen eine Reihe gut dokumentierter Handlungsansätze zur Verringerung einiger Risiken.

Produktsicherheit


Aus dem Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) selbst ergeben sich keine unmittelbaren Haftungsansprüche Dritter. Auf die Schutzziele des ProdSG wird jedoch in anderen Gesetzen Bezug genommen, indem sich Haftungsansprüche ergeben bei Verstoß gegen dieses und weitere Gesetze. Dennoch entstehen bei Verstoß gegen das Produktsicherheitsgesetz auch unmittelbare Risiken wie beispielsweise Bußgelder (zum Beispiel bei fehlender Produktkennzeichnung, unsicheren Produkten und vielem mehr) oder - in der Praxis häufig von größerer Bedeutung - Vertriebsverbote, öffentliche Warnungen vor gefährlichen Produkten oder die behördliche Anordnung von Rückrufen.
Zudem sollte eine wichtige Abgrenzung beachtet werden: Das ProdSG regelt unter anderem die Bereitstellung von Produkten. Die Tatsache, dass ein Produkt bereitgestellt werden darf, schließt jedoch keinesfalls automatisch Haftungsrisiken aus. So sieht das ProdSG beispielsweise die sogenannte Konformitätsvermutung bei Anwendung harmonisierter Normen vor. Liegen jedoch Erkenntnisse hinsichtlich weitergehender Risiken vor, wird im Kontext der Produkthaftung in der Regel dieser umfangreichere "Stand von Wissenschaft und Technik" zu Grunde gelegt.

Produzentenhaftung


Wird jemand durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt, wird entgegen der weit verbreiteten Erwartung häufig gar nicht das Produkthaftungsgesetz herangezogen. Ein zentraler Passus zum Thema Haftung findet sich in § 823 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), die sogenannte deliktische Produzentenhaftung.
Der erste Absatz sagt aus, dass jeder zu Schadenersatz verpflichtet ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt.
Der zweite Absatz formuliert dieselbe Verpflichtung für denjenigen, der gegen den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Dies ist der oben angegebene Bezug beispielsweise zum Produktsicherheitsgesetz (und damit auch den CE-Richtlinien). Wird ein dort beschriebenes Verfahren zur Sicherstellung der Produktsicherheit nicht angewendet, folgt aus § 823 BGB ein Haftungsanspruch etwaiger Geschädigter.

In der Rechtsprechung haben sich in diesem Kontext verschiedene Fehlergruppen als Grundlage der Haftung entwickelt, insbesondere:
  • Konstruktionsfehler (ganze Serie betroffen, ...)
  • Fabrikationsfehler (einzelne betroffene Produkte, ...)
  • Instruktionsfehler (mangelnde Warnung vor Gefahren oder mangelhafte Gebrauchsanweisung beziehungsweise Betriebsanleitung, ...)
  • Fehler bei der Produktbeobachtung (keine Untersuchung von Schadensfällen bei eigenen oder vergleichbaren Produkten, ...)
Eine typische Folge derartiger Fehler ist die Übernahme von Behandlungskosten infolge eines durch ein Produkt verursachten Unfalls. Nach Arbeitsunfällen werden diese beispielsweise auch von Berufsgenossenschaften oder anderen Versicherungsträgern eingefordert beziehungsweise eingeklagt.

Produkthaftung


Während gemäß § 823 BGB unter anderem ein Verschulden des Herstellers gegeben sein muss, sieht das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) im Fall fehlerhafter Produkte eine verschuldensunabhängige Haftung vor - also insbesondere auch für "Ausreißer" während der Produktion. Es handelt sich somit um eine reine Gefährdungshaftung, die eintritt, wenn jemand oder eine Sache durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt wird. Dem gegenüber stehen ein Haftungshöchstbetrag von 85 Millionen Euro, das Erlöschen von Ansprüchen 10 Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produkts sowie im Fall von Sachschäden eine Beschränkung auf Sachen (andere als das Produkt selber) für den privaten Ge- oder Verbrauch.

Hinsichtlich der Definition des Herstellers sollte eine vom Produktsicherheitsgesetz deutlich abweichende Formulierung beachtet werden. So umfasst der Hersteller-Begriff unter anderem auch Hersteller von Teilprodukten oder Grundstoffen, jeden Lieferanten (sofern dieser wiederum seinen Lieferanten nicht benennen kann) oder jeden, der ein Produkt in den Europäischen Wirtschaftsraum einführt. Somit kann beispielsweise der "Einführer" im Sinne des ProdSG im Haftungsfall der "Hersteller" sein.

Die Folgen von Produktfehlern sind vergleichbar mit denen aus der Produzentenhaftung. Ein Geschädigter hat in vielen Fällen eine "Wahlmöglichkeit" zwischen Ansprüchen aus ProdHaftG oder § 823 BGB.

Gewährleistung, Garantie und Mängelhaftung


Die Gewährleistung beziehungsweise Mängelhaftung bezieht sich auf den Fall, dass ein Verkäufer gegen seine vertragliche Pflicht verstößt und statt einer einwandfreien Sache eine mangelhafte Sache liefert. Der Verkäufer muss diese dann austauschen oder reparieren - unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden am Mangel trifft. Die Möglichkeit zur Nachbesserung stellt dabei nicht nur eine Pflicht des Verkäufers dar, sondern auch ein Recht, das ihm nur unter besonderen Umständen versagt werden kann. Verursacht der Mangel hingegen einen Schaden beim Käufer, ist ein Verschulden des Verkäufers Voraussetzung für dessen Pflicht zum Schadenersatz.

Die Garantie unterscheidet sich von der Gewährleistung beziehungsweise Mängelhaftung insbesondere dadurch, dass diese eine freiwillige zusätzliche Leistung - in der Regel des Herstellers - darstellt. Typisch sind beispielsweise Garantien ("Versprechen"), dass ein Produkt mindestens während eines bestimmten Zeitraums (zum Beispiel 5 Jahre) funktioniert oder bestimmte Fehler nicht auftreten (zum Beispiel Durchrostung). Im Gegensatz zur Gewährleistung kann der Garantiegeber die Bedingungen der Garantie frei bestimmen (und sollte dies auch tun, damit die Garantie sich nicht ungewollt auf sämtliche Fehler erstreckt).

Für Hersteller ergeben sich aus diesen verschiedenen Bereichen zunächst die unmittelbaren Risiken durch Gewährleistungs- oder Garantiefälle. Ein häufiger Fallstrick in der Praxis ist zudem die Möglichkeit, die Gewährleistung im B2B-Bereich auf ein Jahr (gegenüber zwei Jahren im Verhältnis Unternehmen-Verbraucher) zu beschränken. Beispielsweise kann ein Zulieferer auf diese Weise sein Risiko durch Gewährleistungsfälle reduzieren, während der Hersteller im direkten Verhältnis zu seinen Kunden einer längeren Gewährleistungsfrist unterliegt. Umgekehrt ist aber auch denkbar, dass bereits der Hersteller von einer Gewährleistungsbeschränkung Gebrauch macht. Räumt sein Kunde dem Endverbraucher eine längere Gewährleistungsfrist ein, kann dieser keinen Regress mehr gegen den Hersteller geltend machen.

Neben vielen weiteren Szenarien stellt zudem ein möglicher Schadenersatzanspruch nach § 280 ff. BGB ein erhebliches Risiko dar. Entsteht beispielsweise durch ein fehlerhaftes Produkt ein umfangreicher Vermögensschaden (zum Beispiel durch Produktionsausfall), kann der Geschädigte möglicherweise Schadenersatzansprüche geltend machen. Es ist daher von großer Bedeutung, entsprechende Szenarien zu analysieren, die Haftung vertraglich auszuschließen oder zu begrenzen sowie das Vorliegen eines geeigneten Versicherungsschutzes zu überprüfen.

Vergleich der Haftungsrisiken

ProdHaftG
§ 823 BGB
Verschulden notwendig?
nein
ja
Haftung für Ausreißer?
ja
nein
Haftung begrenzt?
85 Mio. €
nein
Personenschäden erfasst?
ja
ja
Sachschäden erfasst
nur private Sachen
ja

Bezug zur ISO 9001


Ein gut funktionierendes Qualitätsmanagement (QM) leistet in der Regel einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung verschiedenster unternehmerischer Risiken. Keinesfalls bedingt eine ISO 9001 Zertifizierung jedoch eine pauschale Freistellung von Haftungsansprüchen.

Konkrete Anknüpfungspunkte zwischen QM-System und der Verringerung von Haftungsrisiken finden sich unter anderem in den Bereichen Kundenorientierung (zum Beispiel Bestimmen und Verstehen gesetzlicher Anforderungen), Wissen der Organisation (Wissen bezüglich der Konformität von Produkten), Betriebliche Planung und Steuerung (Dokumentation), Kommunikation mit dem Kunden (Reklamationen) oder Änderung der Anforderungen an Produkte (Anpassung bei Änderungen) und vieles mehr.

Beispiele und typische Fallstricke


Im Schadensfall werden häufig sehr umfangreiche Forderungen an Qualitätssicherung, Dokumentation und weitere Bereiche gestellt. Die folgenden Beispiele beziehungsweise "häufigen Fehler" erfolgen daher ohne Gewähr oder Anspruch auf Vollständigkeit und können lediglich erste Impulse für eine individuelle Anpassung oder Ergänzung von Maßnahmen liefern:
Vertragswesen
Keine oder unvollständige Behandlung von Haftungsszenarien. Kein Ausschluss oder keine Beschränkung hinsichtlich mittelbarer Schäden, Produktionsausfall, entgangenem Gewinn und so weiter
Einkauf/Beschaffung
Keine Vereinbarung einer Beschaffenheit, keine explizite Berücksichtigung von Sicherheits-Aspekten zum Beispiel in Verträgen mit außereuropäischen Lieferanten.
Marketing/Vertrieb
Darstellung/Beschreibung von Produkten in nicht vorgesehenen Verwendungsarten. Wecken überhöhter Sicherheitserwartungen.
Wareneingang
Keine systematische Dokumentation der Wareneingangskontrolle oder Beschränkung lediglich auf Maße, Optik, ...
Anleitungen
Keine Eingrenzung der vorgesehenen Verwendung. Fehlende oder zu eng gefasste Sicherheitshinweise. Keine Übersetzung von Bedienungsanleitungen in Fremdsprachen.
Produktbeobachtung
Keine systematische Erfassung sicherheitsrelevanter Mängel. Keine Dokumentation von Beobachtungs-Maßnahmen beziehungsweise –Prozessen. Keine Dokumentation erkannter Verwendungsarten (vorgesehene + Fehlanwendungen).
Lieferanten
Keine Sicherstellung der Erkennung von Änderungen bei Werkstoffen, Bauarten, welche eine neue Sicherheitsbewertung erfordern (zum Beispiel durch Verträge, Audits, Stichproben-Analysen)
Fertigung
Keine Mechanismen zur Erkennung sicherheitsrelevanter Änderungen (Produktionsprozess, Qualitätssicherung, verwendete Komponenten). Keine durchgängige Dokumentation sicherheitsrelevanter Prüfungen/Qualitätskontrollen.
Konstruktion/Entwicklung
Verwendung veralteter Dokumente (zum Beispiel Risikobeurteilung), Normen, et cetera.; keine systematische Beobachtung von Normen-Änderungen
Chargenverwaltung
Keine Möglichkeit der Zuordnung von Komponenten/Produkten zu bestimmten Chargen oder Produktionszeiträumen
Hersteller-Rolle
Fehlende Festlegung der Hersteller-Verantwortlichkeiten zum Beispiel bei aus verschiedenen Komponenten zusammengefügten Produkten
Verteilung der Pflichten
Keine vertragliche Festlegung in der Lieferkette, wer etwaige Pflichten aus ProdSG, CE-Richtlinien, et cetera erfüllt (insbesondere bei Bezug von außereuropäischen Lieferanten oder bei komplexen Produkten)
Fortbildung
Keine/mangelnde Fortbildung von Mitarbeitern in haftungsrelevanten Bereichen; keine Sensibilisierung der übrigen Mitarbeiter für die Thematik
Schnittstellen
Keine oder widersprüchliche Festlegung von Prozessen/Schnittstellen für sicherheits- beziehungsweise haftungsrelevante Vorgänge. Kein zentraler Akteur/Freigabeprozess
Die oben angegebenen exemplarischen Handlungsfelder eignen sich möglicherweise im Sinne einer Checkliste zur Identifikation offensichtlicher Ansätze und Optimierungspotenziale im eigenen Unternehmen. Eine durchgängige Umsetzung dieser und weiterer Maßnahmen erfordert in der Regel die Einbeziehung erfahrener Dienstleister beziehungsweise Rechtsexperten über einen längeren Zeitraum hinweg. Häufig bieten auch Verbände und weitere Institutionen beispielsweise branchenspezifische Informationen, Beratung oder sonstige Unterstützung (zum Beispiel allgemeine Lieferbedingungen), in denen entsprechende Haftungsrisiken thematisiert werden.